Ein Blogbeitrag Selvaggio Blu
Beitragsbeschreibung Der schwierigste Trek Italiens
Robert Mayer
5/22/200816 min read


Mein Beitragsinhalt Selvaggio Blu – Das wilde Blau 1
Der schwierigste Trek Italiens an der Steilküste des Supramonte
Sardinien die steinerne Schöne, empfängt uns Reisende in der weiten Bucht von Olbia mit dem weichen Licht der Morgensonne. Noch verhüllen zarte Nebel ihre Kontur, nur vage zeichnen sich die ersten Silhouetten von Bergketten ab. Endlos scheinen sie sich hintereinander aufzureihen. Auf beiden Seiten unserer Fähre verlaufen die geometrischen Strukturen von Muschelbänken. Ein kleines Boot legt seitlich bei und ein Lotse klettert an Bord. Mit der Fähre kommt Leben ins verschlafene Olbia, der wichtigsten Hafenstadt im Norden von Sardinien. Eine lange Kette von Fahrzeugen ergießt sich aus dem dunklen Schiffsbauch und verteilt sich wie eine Welle über die ganze Insel. Wir wollen zur Ostküste, denn nirgends sonst führen Mare y Monte, Berge und Meer eine so innige Romanze miteinander. Auf der alten Staatsstrasse, Orientale Sarda, die den Osten der Insel erschließt, nähern wir uns dem Nationalpark Golf von Orosei. Das Gebirge des Supramonte scheint so menschenleer wie andernorts die Wüste zu sein. Wären da nicht einige halbwilde Pferde, Schweine und Ziegen, und die Hirten dazu, bräuchte man nicht einmal Straßen. Trotz der Einsamkeit muss man auf der Hut sein, wer rechnet schon damit das nach einer Kurve eine Stute samt Fohlen auf der Strasse steht. Aber der Sarde hält sein Vieh gerne so wie er auch selber lebt – frei und ungebunden!
Fruchtbare Oase im Steinmeer, die Ogliastra
Steineichenwälder und Macchia säumten den Weg bis kurz vor Baunei, aber dann, bei einer markanten Waldbrandschneise öffnet sich unversehens der Blick auf das weite fruchtbare Tal der Ogliastra. Wie ein Amphitheater, eingekesselt von hohen Kalkmassiven, breiten sich in jungem Grün leuchtende Weinberge, Weiden, Äcker und Gemüsegärten aus. Artischocken, Mispeln, Oliven und Feigen wachsen hier. Die wenigen Täler geben in Hülle und Fülle was die rauen Berge verwehren. Zum Meer hin begrenzt die sichelförmige Bucht von Arbatax mit ihrem endlos langen Sandstrand das Tal. Dahinter liegt ein leuchtendes Meeresauge – der Salzsee von Tortoli.
Adlerhorst Baunei
Wie ein ausgesetzter Adlerhorst klebt Baunei weithin sichtbar 600 Meter über der Ogliastra. Nicht ohne Grund, den zum einen schützte diese Lage vor den häufigen Piratenüberfällen durch Sarazenen, die über Jahrhunderte das Land terrorisierten, zum anderen weht hier oben auch im heißesten Sommer noch eine frische Brise. Baunei steht für das alte archaische Sardinien, fern der Touristenströme. Mit Kopftuch und ganz in Schwarz gekleidet, bewegen sich ältere Sardinnen, unnahbar wirkend, durch die engen Gassen. In Grüppchen, oft schweigend zusammensitzend, sieht man die alten Männer. Stolz und aufrecht, ohne sichtliche Gemütsregung wirken sie so zeitlos, wie die grauen Eminenzen aus Michael Ende's Momo.
Sarazenentürme an der Küste
Am Meer, wo die Steilküste beginnt, liegt Santa Maria de Navarrese. Malerisch erhebt sich einer der Sarazenen Türme mitten im Ort. Es gibt viele entlang der Küste, denn von ihnen wurde vor den Piraten gewarnt, die früher Tausende Sarden versklavten." Wer über das Meer kommt will uns bestehlen" lautet daher ein altes Sprichwort. Nicht zu Unrecht, denn die Geschichte der Insel war von Fremdherrschaft und Unterdrückung bestimmt. Heute sind die Sarden froh an uns Touristen, denn die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 25 %. Außerdem stehlen wir nur mit den Augen von etwas was es in verschwenderischer Fülle gibt. Makellos weiße Strände, Granit und Kalkformationen in nicht endender Fülle, und all das vor einem kristallklaren, türkis schimmernden Meer. >>So schön wie in Sardinien<<, ist nicht umsonst eine italienische Redensart.
Der Sentiero Selvaggio Blu – Der Weg ins wilde Blau
Bei einem sardischen Hirtenessen oben auf der Hochebene des Golgo, erzählte uns Salvatore, unser langjähriger Vermieter, eines Tages von den alten Oviles, den Schäferhütten die unzugänglich und versteckt an der Steilküste liegen. Alte zugewachsene Pfade führen dahin, 2 wo es sehr einsam ist, so einsam, das hier die alte sardische Hirtenseele noch immer lebt. Salvatore führte in Deutschland eine gutgehende Pizzeria. Aber er liebt seine karge, schöne Heimat, und vor allem die Freiheit. Sie zählt für ihn mehr als alles Geld und war Grund genug heimzukehren.
Seine Schilderungen klangen sehr spannend, zumal gerade bei seiner Pizzeria an der Pedra Longha ein alter Hirtenweg begann der die Küste entlang führte. Er heißt Sentiero Selvaggio Blu – der Weg ins wilde Blau. >>7 Tage leben wie die Schweine<<, auf dem schwierigsten Trek Italiens, wirbt ein italienisches Bergführerbüro mit ihm. Von Pedra Longha der markanten Felsnadel bei St. Maria de Navarrese, führt er über einen der schönsten Strände des Mittelmeers, die Cala Goloritze bis zur Cala Luna. Ein verlockender Gedanke ihn zu gehen, aber das Problem dabei war; der Trek ist keine normale Wanderung, sondern erfordert gezielte Orientierung mit Kompass und Höhenmesser. >>Ohne Führer kommt da keiner durch, meinte Salvatore<<. Und dennoch, es gab also einen Weg sich ins archaische Herz des Supramonte einzuschleichen. Auch die Warnung kein Wasser zu finden konnte uns nicht mehr abschrecken. Der Gedanke dieses kleine Abenteuer mitten in Europas zu wagen, hatte sich schon in unseren Herzen eingenistet.
Von der Pedra Longha zur Cala Goloritze
An der Pedra Longha einem markanten Kalkmonolith, führt die letzte Teerstrasse zum Meer hinab. An der kleinen Ausflugspizzeria von Salvatore, die einsam am Meer liegt, beginnt der Weg. Mit schwerem Rucksack wandern wir zu dritt nach Norden. Die letzten Wochen hat es immer wieder geregnet. Das ist gut für die Esel, die Schweine und Ziegen die am Fuß der Felswände das wenige Gras und die jungen Triebe der mannshohen Macchia abweiden. Wir begeistern uns mehr für das nuancenreiche Farbenspiel der blühenden Sträucher. Vor uns, bedrohlich steil und teils überhängend, ragt die 730 Meter hohe Klippe des Giradili empor. Kurz zuvor haben zwei Deutsche sie in achtstündiger Kletterei bezwungen. Sie soll die höchste Klippe des Mittelmeers sein. Wir fragen uns, wie wir ohne 8 Stunden zu klettern aus unserem Tal dort hoch kommen sollen. Egal wohin wir blicken weisen uns senkrechte Felsabstürze ab. Blühender Oleander der alle Bachläufe in Sardinien säumt zeigt uns den letzten Quellfluss vor der Cala Sisine an. Seine Gumpen laden auf ein Bad ein und verwöhnen mit einem Blick aufs Meer wie ihn sonst nur exklusive Pools bieten. Allerdings sind wir nicht die einzigen Gäste. Eine Wasserschlange und eine Schildkröte teilen das kühle Nass mit uns. Nur wenig nach dem Bach führt aber ein Schotterfeld nach oben und wir können überraschend einfach auf einem schmalen Band unter der Felswand durchqueren.
Sardische Hirtenkultur
Unerwartet stehen wir plötzlich mitten in einem leeren Ziegenstall, dem unaussprechlichen >>Cuile dus Piggius<<. Er gehört dem Onkel von Salvatore. Die Ziegen erkennen ihn am Klang des Motors, wenn er zum Melken über die Piste kommt. Dann dauert es nicht lange und sie kommen mit prallem, hin und her schwingenden Euter angelaufen. Die Milch der Tiere wird verkäst und reift im Keller zu einem würzigen Hartkäse. Die halbwilden, fast schwarzen Schweine leben von Eicheln und Gras. Sie wachsen fast so langsam wie das sardische Holz und kosten ein kleines Vermögen, wenn sie nicht vorher in eines der Karstlöcher fallen. Der Mann sorgt also für Fleisch und Käse. Die Frau bäckt das Brot, zieht Gemüse, setzt den Mirto an und kocht Tomatensauce ein. Bei unseren Vermietern gehörten auch noch ein Weinberg und eine Destille dazu. Das Olivenöl liefert die Tante. Das Wasser holt man von der Quelle. Wenn einen sonst der örtliche Supermarkt versorgt mutet das schon etwas seltsam an. Vielleicht deshalb werden manche Sarden so alt, dass Tiana im Inneren die meisten 100jährigen in Europa verzeichnet und auch lange den ältesten Mann der Welt beherbergte, den 112jährigen Hirten Tiu Todde!
Uralte Klettersteige 3
Unser schlechtes Kartenmaterial hat uns schon vorab einige Bauchschmerzen bereitet, jetzt sind wir angenehm überrascht häufig auf blaue Farbmarkierungen zu treffen. Wir gehen allerdings auch nicht mehr auf einem Weg, sondern springen im zerklüfteten mit Löchern übersäten Karstgelände von Fels zu Fels. Ein falscher Tritt und die Wanderung ist zu Ende, bevor sie recht begonnen hat. Selbst der schnellste Geher wird hier zur Entdeckung der Langsamkeit erzogen.
Seit dem Monte Giradili sind wir mitten in der Wildnis, und treffen immer wieder auf die Abbruchkante einer Klippe, die sich kilometerlang nach Norden zieht. Schwindelerregende Tiefblicke und das spannende Balancieren an der Kante machen diesen ersten Abschnitt zu einem echten Erlebnis. Grüne Macchia auf hellem Kalk über dem Blau des Meeres sind die Farben des Selvaggio. Kreuz und quer umgehen wir die vielen kleinen Schluchten, in Sardinien Bacus genannt, und die undurchdringliche Macchia. Nach Stunden ermüdendem Gehen sind nur wenige Kilometer geschafft und schon bald 2 Liter Wasser verbraucht. Ich nehme mir vor wie die Berber nur noch morgens und abends zu trinken. Das Wasser ist glatt, nur die Schatten der Wolken spielen auf seiner Oberfläche, und die Wellen der Boote laufen wie Fischgrätmuster übers Meer, bis in die Unendlichkeit des Horizonts. Ein Gefühl der Unendlichkeit haben auch wir, als die Schluchten kein Ende nehmen. Wieder einmal stehen wir plötzlich vor einer senkrechten Wand. Die Markierung, ein Steinmännchen führt eindeutig darauf zu, nicht nach rechts und nicht nach links. Unser Kletterzeug ist im ersten Abschnitt noch zu Hause geblieben also was tun? Peter meint nur: "Da geh ich nicht hoch!" Blacky hat viel Erfahrung im Klettern und sucht nach guten Griffen. Weiter oben findet er nach wenigen Metern eine Seilschlaufe zum Festhalten, und bald ein schmales Band zum Traversieren. Dann tauchen höchst fragwürdige, im Fels verkeilte Baumstämme auf. Meint ihr das Zeug hält, ruft Peter? Die sind mindestens schon hundert Jahre alt, warum sollten sie gerade heute brechen, ist Blacky's Antwort! Fast beklemmend ist die Einsamkeit am Capo Monte Santu. Wie war das wohl früher für die Hirten und Köhler, die täglich ihr knochenhartes Hirtenbrot – das Pane Carasu einweichten und in den dunklen, rußgeschwärzten Hütten ausharren mussten. Unter einem Dach aus aneinandergelehnte Wacholderstämme an denen das Regenwasser herunterrinnt. An Baumästen vor den Hütten hängt noch heute hier und da ein Topf oder eine Pfanne außer Reichweite der neugierigen Schweine. Peter, der nebenher Schafe schert, sieht sich im Geiste schon hier, in diesem sardischen Arkadien mit seinen Schafen siedeln. Wir witzeln sofort darüber, welche der olympischen Götter wohl niedersteigen müssten, um ihm die Langweile zu vertreiben, und schließen damit, dass wohl einzig einer glutäugigen Aphrodite dies gelingen könnte.
Biwak im Bacu
Nach der Umrundung des stürmischen Capo Monte Santu, erreichen wir Porto Pedrosu. Peter ist vorausgeeilt und ruft! Habt ihr gewusst, dass es hier Fjorde gibt. Tatsächlich zieht sich keilförmig eine Bucht weit ins felsige Landesinnere. Wir reißen natürlich unsere Kleider vom Leib und genießen die angenehme Kühle des Meeres auf der sonnenverbrannten Haut. Ein herrlicher Platz, umso erstaunlicher, dass wir ihn für uns alleine haben. Träge und grunzend wie Walrösser liegen wir nackt in der Sonne und keiner will so recht weiter, zumal das der ideale Biwakplatz ist. Aber dann wäre die morgige Etappe noch länger und die endet an einem der schönsten Strände im Mittelmeer, der Cala Goloritze. Auf uralten Wacholderstämmen klettern wir die Steilwand zum Bacu Sonnuli (schöne Aussicht) hinunter. Wir schrecken einen der seltenen Eleonorenfalken auf, der jetzt mühelos über unseren Köpfen kreist. Unten entdeckt Peter einen Biwakplatz unter überhängendem Fels. >>Ich geh keinen Meter mehr<<, ruft er bestimmt, und liegt auch schon auf seiner Isomatte. Recht hat er, es wird sowieso schon dunkel. Ich zünde den Kocher an und jongliere mit mehreren Töpfen. Es gibt einen interessanten Mix von Seitan an Chillisößchen mit Spaghetti und Ravioli. Zum Dessert einen Kräutertee, den Peter augenzwinkernd mit Heuschnaps veredelt. Ein Schwarm jagender Schwalben kommt die Schlucht hochgeflogen, laut schnalzend ziehen sie elegante 4 Kurven und stürzen wieder hinunter. Diese Jagdtechnik wiederholen sie noch einige Male und vertreiben uns damit die Zeit. Nachdem die letzten Sonnenstrahlen über den Fels gestreift sind, legt sich eine beklemmende Ruhe über die Schlucht, unterbrochen vom gelegentlichen Schnarchen meiner Freunde. Einmal nur, mitten in der kristallklaren Nacht ertönt wie eine funkelnde Hymne an die Stille der durchdringende Ruf eines Kauzes.
Naturdenkmal Cala Goloritze
Früher als gedacht erreichen wir den Aussichtspunkt über der Goloritze, den Punta Salinas, 400 Meter über dem Meer. Direkt unter uns liegt ein Südseetraum, weißer Sand, türkis – blau schimmernde Wasser und ein herrliches Felstor im Meer. Dahinter eine perfekte Felsnadel, die Aguglia, ein phallisch aufragender Dorn der für Kletterer mit einer 7- den schwierigsten Normalanstieg in Italien bietet. Beim Abstieg vom Punta Salinas entdecken wir, versteckt an einer Felsflanke eine Schäferhütte. Ihre Lage ist so atemberaubend ausgesetzt und gleichzeitig romantisch, dass ich mir nur einen alten, weisen Eremiten darin denken kann.
Wir haben es ungemein eilig hinab zu kommen, die Zunge klebt uns trocken im Gaumen und unten warten Freunde mit Wasser.
Von der Cala Goloritze zur Cala Luna
Für diesen zweiten Abschnitt des Selvaggio Blu haben wir Gurtzeug, Karabiner und zwei 50m Seile in die mit Wasser vollgestopften Rucksäcke gequetscht. Salvatore, der die Pizzeria am Pedra Longha betreibt warnt uns. >>Auf diesem Weg könnt ihr zwar in die wildesten Ecken des Supramonte vordringen, aber wenn ihr euch in die hängenden Gärten von Biriola abgeseilt habt, sitzt ihr in einer Mausefalle. Es gibt nur einen Weg der wieder hinaus führt. Aber wir sind bereits süchtig nach dieser archaischen Landschaft. Das aufregende Spiel zwischen Meer, Fels und unserem Weg, schlägt uns ständig aufs Neue in den Bann.
Es geht gleich richtig zur Sache im Bacu Boladina, mit einer kurzen, aber überhängenden Felswand. Erst versucht es Blacky dann ich. Aber Erfolg haben wir erst als wir den 20 Kilo schweren Rucksack extra hochziehen. Die Schlucht bringt uns gehörig zum Schwitzen, immer enger und dunkler werdend, zwingt sie uns in ihr Innerstes, steil nach oben. Dann ganz unvermittelt öffnet sie sich und weglos folgen wir einem Kamm nach Osten. Alte Schäferhütten und Steine in Astgabeln abgelegt, zeigen dass wir richtig sind. Rechts von uns liegt tief unten das Meer, links der Golgo mit seinen grünen Hügeln und Steineichenwäldern, so überqueren wir den Kamm der Serra Lattone. Endlos, menschenleer wirkt das Golgoplateau, aber irgendwo hinter diesem Dickicht zieht sich eine staubige Piste zur Cala Sisine hinunter. Es liegt eine bleierne, brütende Hitze über dem Plateau, nur ab und zu meckert eine Ziege und Möwen kreisen über uns. Dieses sardische Arkadien fesselt einen trotz, oder gerade wegen dieser Einsamkeit. Ist es Zufall das der Aronstab hier so reichlich gedeiht. Einfach genial wie er seine Fortpflanzung sichert. Mit Aasgeruch lockt er Fliegen an, diese rutschen auf seiner glatten Haut ab und fallen in einen engen Blütenkessel. Dort bleiben sie gefangen, bis sie bei ihren Fluchtversuchen alle Blüten bestäubt haben. Erst dann erschlaffen die Borsten am Ausgang und die Insekten entkommen ins Freie, um dann sofort die nächste Blüte des Aronstabs aufzusuchen. "Wer einmal da war kehrt auch wieder zurück." Gilt das auch für uns und Sardinien?
Abseilen zur Punta Mudaloru
Wir Traversieren an einer Felswand und stehen plötzlich vor einem mächtigen Felspfeiler. Der Sattel davor fällt senkrecht Hunderte Meter zum Meer ab. Müssen wir hier etwa abseilen, denke ich entsetzt. Ein Haken ist zum Glück nicht zu finden, also muss der Weg weiterführen. Mitsamt dem Geröll rutschen wir eine Rinne hinunter. Unten stoßen wir auf einen weiteren Felspfeiler, den wir auf einem schmalen Band umrunden. Plötzlich ein lautes erschrecktes Grunzen und vor uns stürzt sich eine riesige Sau den Abgrund hinab. Geräuschvoll poltert sie durch das Unterholz. Hoffentlich fällt sie in ihrer Panik nicht bis ins Meer hinab. Amüsiert stellen wir uns vor, wie sie in einem der dicht vorbeifahrenden Ausflugsboote landet. Vorsichtig tasten wir uns an einen überhängenden Fels heran. Man sieht zwar nichts, aber der Abseilhaken klärt jede weitere Frage. Ich hänge den Abseilachter in den Karabiner und ins Seil und kontrolliere die Knoten mehrmals. Dann taxiere ich das Seil und denke: Heute ist kein guter Tag zum Sterben. Erst dann werfe ich mich todesverachtend über die Kante ohne zu wissen was mich unten erwartet.
Im Zick-Zack Kurs geht es weiter, mein GPS Gerät auf dem ich die Strecke aufzeichne zeigt auf dem Display ein Labyrinth an. Der kürzeste Weg zum Ziel ist auf dem Selvaggio nicht die Gerade.
Köhler am Mudaloru
Der Punta Mudaloru ist eine kleine Bucht am Ende einer Schlucht in der ein Zugang zum Wasser relativ problemlos möglich ist. Ein großer ebener Platz immer noch mit Holzasche bedeckt verrät uns, dass hier mächtige Köhlerhaufen aufgeschichtet wurden. Einige schön angelegte Wegabschnitte sind aus dieser Zeit noch erhalten. Mussolini hat die Steineichen des Golgo zu Eisenbahnschwellen und Holzkohle werden lassen. Etwas was manche Sarden den Italienern bis heute nicht verziehen haben, zumal er seine Gegenversprechen, wie die Industrialisierung, nicht eingehalten hat.
Irrwege
Wir sind über der Costa Bue Marino. Seit hier eine schöne Tropfsteingrotte wenig über dem Meeresspiegel entdeckt wurde herrscht reger Bootsverkehr. Eine schöne Ausbuchtung im Fels, führt uns geduckt nach oben zur Abseilstelle in den Bacu Feilau. In der engen Schlucht mühen wir uns in der Hitze über ein großes Schotterfeld nach oben, immer auf der Suche nach Markierungen. Nach der handgezeichneten Karte müssten wir rechts einer Steilstufe gehen. Da kein Abzweig zu finden ist gehen wir auf dem deutlichen Pfad weiter. Als wir oben auf einem Schotterweg enden ist klar das wir falsch sind. Wir kehren um und finden am Kamm überraschend schnell einen Pfad. 11/2 Stunden später zieht Nebel auf und wir müssen schon lange an den hängenden Gärten von Biriola vorbeigelaufen sein. Fluchend und entnervt, wir sind schon gut 10 Stunden unterwegs, kehren wir wieder um. Ein Versuch abzukürzen endet an einer Steilwand. Man könnte zwar an Felsblöcken abseilen, aber der Nebel und das folgende unübersichtliche Gelände würde uns in große Gefahr bringen. So gehen wir zurück zum Bacu Feilau und durchstöbern erneut das Gelände. Der einzige Hinweis ist schließlich ein gegen die Gehrichtung zeigender Pfeil der in wegloses Gelände weist. Und tatsächlich, gegen jede Vermutung, überwindet man kletternd eine kleine Steilstufe und ist wieder in der Nähe des vertrauten Meeres. Es hatte schon seinen Grund warum die Erstbegeher Mario Verin und Peppino Cicalo Monate brauchten die Strecke auszukundschaften. Wir schleppen uns noch zum nächsten ebenen Platz und sinken dort entkräftet in unsere Schlafsäcke.
Strand der Glückseligen – Cala Biriola
Nach kalter Nacht machen wir erst einmal ein Feuer zum Aufwärmen und trocknen unsere Kleider. Eine klettersteigähnliche Passage führt zur Abseilstelle in die dicht mit Macchia und Steineichen bewachsenen hängenden Gärten von Biriola. Wie die Insekten in der Blüte des Aronstabs sind auch wir jetzt gefangen, heraus aus diesen Terrassen geht es nur nach langem Marsch und mit Seilhilfe. Es gelingt uns einen Weg hinunter zum malerisch gelegenen Strand von Biriola zu finden. Dort plündern wir unser mit dem Boot angelegtes Depot und trinken morgens um 7 Uhr nackt im Meer treibend zwei Dosen Bier. Vergessen die Strapazen, wir sind auf der Insel der Glückseligen angekommen. Am Ende der Gärten liegt eine riesige Höhle die den Bergführern und ihren Gruppen zum Übernachten dient. Sie ist voller Tropfsteine und wir schlürfen das Wasser aus den Vertiefungen der Stalagmiten. Ganz im Innern der Höhle hängen einige Trinkflaschen an der Decke und es gibt ein aufwendiges System das Tropfwasser in Kunststoffbeuteln aufzufangen. Wer sich wirklich sehr gut auskennt, findet auch im Sommer noch irgendwo Wasser. Man muss allerdings tief in enge Höhlen kriechen, um das im Karstgebiet schnell versickernde Wasser zu erreichen.
Magische Felsentore 6
Verdutzt bleiben wir stehen und starren nach vorne. Wir sind ja inzwischen einiges gewohnt an wildromantischen Landschaften, aber jetzt dennoch überrascht. Vor unserem schmalen Pfad steht ein gewaltiger Felspfeiler über dem Meer. Schwer zu umgehen, wenn da nicht auf fast magische Weise mitten hindurch ein großes Felstor führte. Gebannt genießen wir den faszinierenden Blick auf die bewegte Küstenlinie an deren Ende der Ferienort Cala Gonone liegt. Jetzt sind wir nur noch wenig von der Cala Sisine entfernt. Unter glattgeschliffenen, überhängenden Wänden, die sich halbkreisförmig über uns schließen, erreichen wir eine weitere Abseilstelle. Die Cala Sisine ist über eine Piste und vom Meer zugänglich. Motorboote und sogar Mountainbiker haben sich am Strand eingefunden.
Mitten durch die Macchia zur Cala Luna.
Es ist erst Mittag und wir sind gespannt auf die berühmt-berüchtigte Cala Luna, wo in den Achtzigern Hippiekolonien die riesigen Naturhöhlen besiedelten. Also gehen wir heute noch weiter. Beim Anstieg dampfen unsere Oberkörper vor Hitze und Schweiß, dann zweigt der Selvaggio Blu nach rechts parallel zur Küste ab und eine leichte Brise kommt auf. Was unser schlechtes Kartenmaterial leider nicht hergab, sind die unzähligen Schluchten auf dem Weg, die alle umgangen werden müssen. Sie sind zwar schön, aber ungemein kraftraubend.
Blacky, meinem Seilgefährten wird plötzlich schwarz vor Augen und er sinkt in die Knie. Vielleicht die Hitze. Was tun! Wir sind mutterseelenallein und zudem weit vom Meer entfernt. Sein Puls ist nicht sehr hoch, ein gutes Zeichen. Da er seit Stunden nichts gegessen hat, tippe ich auf einen sogenannten Hungerast. Ein Zustand in dem der Körper kein Glykogen mehr zur Verfügung hat und dann den Stoffwechsel erst einmal herunterfährt. Das verursacht natürlich ein extremes Schwächegefühl. Wir verteilen das Gepäck ein wenig und gehen langsam weiter, was bleibt uns anderes übrig. Nach einem Riegel geht es Blacky schnell wieder besser. Ich mache mir Sorgen, weil der Weg unendlich scheint. In drei Stunden ist gerade Mal die Hälfte geschafft!
Dann verlieren wir zum xten Mal den Weg. Ich steige mit vollem Gepäck im Geröll nach oben, dann wieder nach unten. Nichts, es ist zum Heulen. Also gehen wir entnervt nach oben auf den Kamm und mitten durch die Macchia. Seit geraumer Zeit zieht der Himmel zu. Es beginnt plötzlich heftig zu regnen, dann Blitze und Donner gefolgt von Hagel.
>>Sollen wir uns eine Höhle suchen<<, frage ich?
>>Nein<<, ist die knappe Antwort!
>>Wenn mich jetzt der Blitz trifft muss ich wenigstens nicht mehr weiterlaufen<<!
Der Fels wird rutschig und wir sind Klatschnass, nutzen aber die seltene Gelegenheit und trinken aus den Wasserpfützen im Fels. Gerade als wir gelinde gesagt, die Nase gestrichen voll haben, treffen wir auf einen breiten Wanderweg. Erleichtert, aber mit total zerkratzten Beinen erreichen wir endlich die Cala Luna. Friedlich und selten einsam liegt die sichelförmige Bucht im Abendlicht. Der Wirt der hier auch im Winter lebt, macht große Augen und öffnet wortlos seine Getränkeluke für uns. Zwei kühle Biere später sind wir nass, verdreckt und sehr erschöpft zurück in der Zivilisation.
Freunde haben auch schon ein Bootstaxi nach Cala Gonone organisiert. Der wegen des verspäteten Feierabends mürrische Bootsführer jagt mit Vollgas über die Wellen, so schnell das unsere Klamotten unterwegs trocknen. Am Himmel reißt im Westen ein erstes Sonnentor auf. Eine merkwürdige fast zeitlose Stimmung breitet sich aus – die Ruhe nach dem Sturm!
Sardinien Allgemeines:
Anreise: Mit dem Pkw nach Livorno. Dort verschiedene Fährlinien, Moby, Sardinia Ferries die für 2 Pers. inkl. Pkw ab 180Euro, bei Buchung im Internet für Hin und Rückfahrt in der Nebensaison berechnen. Von Olbia auf der Autobahn bis Nuoro, dort weiter nach Santa Maria de Navarrese. Ca. 2-3h. Im Ort viele Appartements, Hotels und Campingplätze.
Selvaggio Blu:
Schwieriger Trek von Santa Maria de Navarrese zur Cala Luna, der zwischen vier und sieben Tage dauert. An der Cala Goloritze kann der Trek unterbrochen werden. Oben auf dem Golgoplateau gibt es eine Kneipe mit kleinem Campingplatz, von dort sind es 11/2h zur Goloritze. Ab der Goloritze braucht man zwei 50m Halbseile und Kletterausrüstung.
Sieben Kletterstellen bis 4+. Biwakplätze sind reichlich vorhanden, Höhlen etc. Der Weg führt fast immer in Sichtweite des Meeres entlang, verläuft aber recht kompliziert. Größtes Problem sind die Orientierung und das Trinkwasser. Bis zur Cala Goloritze wird kein Seil benötigt, es gibt aber klettersteigähnliche Passagen. Bergführer sind vor Ort und im Internet buchbar. Beste Reisezeit: April bis Mitte Juni. Danach wird es zu heiß.
Autor Robert Mayer „Unveröffentlichtes Werk, Copyright 2024 Robert Mayer“.

































