Ein Blogbeitrag Dolomiten Höhenweg 5
In sieben Tagen von Sexten nach Pieve di Cadore. Durch die wilde Marmarole.
Robert Mayer
8/8/20256 min read


Dolomiten Höhenweg 5 Tizianoweg
1 Tag
Auch wer es schon kennt staunt dennoch beim Anblick der wilden Bergszenerie im hinteren Fischleintal. Auf der berühmten Sextner Sonnenuhr sticht vor allem der Zwölfer 3094m ins Auge. Er teilt den Himmel in Felswände, Grate und zerklüftete Türme mit reichlich Luft dazwischen. Luft die heute geschwängert ist von satten dunklen Wolken, die drohend wie Säcke am Himmel hängen. Die Carduccihütte ist aber schon gebucht, was gar nicht einfach war. Auch schon Monate vor dem Termin. Also gibt es kein Zurück!
Bei der Talschlusshütte unten ist viel Betrieb, aber kaum fängt die Lunge zu pfeifen an, trennt sich wie immer die Spreu vom Weizen. Plötzlich steht man alleine in weiter Flur und genießt die Stille. Auch die Tropfen vom Himmel, denn es sind ja nur Tropfen, keine Schauer oder noch schlimmeres.
Kurz vor dem Giralbajoch 2431m kommt sogar die Sonne raus und versüßt den Umweg nach links, nötig wegen einem Felssturz am Zwölfer. Die bleichen Berge sind keine Festung für die Ewigkeit und der tauende Permafrost hilft da sicher auch nicht.
Ein Mauerläufer mit seinen roten Farbklecksen begleitet uns. Die Trampeltiere da werden wohl ein Paar Insekten für ihn aufscheuchen, denkt er wohl. Schnabelgerecht serviert versteht sich. Am Berg herrscht ja bekanntlich eine Koexistenz.
Links von uns zweigt der Alpinisteig ab, der Versorgungsweg für die Soldaten im Ersten Weltkrieg. Auch heute noch findet man Patronen, Bunker mit Schlafplätzen und alte Konserven.
Das Giralbajoch kurz danach ist mit einer tibetischen Gebetsfahne geschmückt und darunter ist schon die Carduccihütte schemenhaft zu erkennen.
Beim Abstieg sitzt ein halb verhungertes Murmeltier am Wegrand. Vielleicht hat das Jungtier seine Mutter an den Adler verloren. Man ist versucht es mitzunehmen, aber wie füttern.
Drei Jahre zuvor waren wir schon mal in der Hütte, auf der Klettersteigrunde Dolomiti senza Confini. Da war der Wirt allerdings deutlich besser gelaunt. Heute stresst ihn alles. Auch fragen nach der Unterkunft die nicht in Italienisch erfolgen.
2 Tag
Die fast 1500 Höhenmeter hinunter nach Auronzo di Cadore lassen reihenweise Muskelzellen platzen. Da hilft auch ein eiskaltes Bad nicht allzu viel. Das spült dafür aber den penetranten Schweißgeruch ab, der uns vorab schon ankündigte.
Nach einer kurzen Bahnfahrt führt uns ein langer und sehr abwechslungsreicher Höhenzug zum Rifugio Ciareido. Mit seiner fast 360 Grad Panoramasicht auf die Dolomiten. Das Rifugio hat seinen ganz eigenen Charme. Alt, niedrig und ungemein gemütlich. Da will man nur noch bleiben und genießen. Das Essen ist mit dreierlei Knödel nur als Vorspeise mehr als reichlich.
3 Tag
Eine kurze fast gemütliche Etappe führt am nächsten Tag zum Rifugio Chiggiato. Direkt vor der Hütte liegt eine Bergwiese zum Staunen. Kohlröschen, Arnika für die müden Beine, Glockenblume usw. Die Österreicher sagen zur Arnika mit ihrem durchdringenden Geruch nicht ohne Grund: Steh auf und geh heim. Hilft sie doch bei Verstauchung, Ermüdung, Erschöpfung usw.
An der Hütte treffen wir wieder einmal auf ein junges deutsches Paar. Auch sie wollen den schwierigen Weg um die Marmarole angehen. Zumindest die Frau ist hochmotiviert. Er sitzt meist abseits, wirkt unbeteiligt und verhalten, während sie aufgeregt nach Einzelheiten des Weges fragt. Zu unserem Erstaunen stellt sich alsbald heraus!
Sie und er haben noch nie einen Klettersteig gemacht und wenig Bergerfahrung. Haben kein Klettersteigset, Helm etc. dabei. Tragen Turnschuhe und Jeans und einen sehr schweren Rucksack. Außerdem sind sie sehr langsam unterwegs.
Da kann ich ihr nur dringend abraten, sehr dringend!
Als er das hört wirkt jetzt plötzlich sehr erleichtert und lächelt mich sogar an. Es war anscheinend die richtige Antwort.
4 Tag
Heute startet unsere mindestens zweitägige Umrundung der einsamen nördlichen Mamarole. Die ist gespickt mit gleich drei Biwaks hintereinander. Da hat man die Wahl!
Wir versuchen am ersten Tag das mittlere Bivac Musatti zu erreichen. Dann sollte die Tour an 2 Tagen zu schaffen sein. Es gibt allerdings kein Wasser unterwegs. Im Tourenportal wird aber behauptet das 250 Höhenmeter unter dem Biwak eine rettende Quelle fröhlich sprudeln würde. Wir nehmen das Risiko und gehen mit nur 2 Litern Wasser los!
Der Anstieg zum Joch Forcella Jau de la Tana ist steil, sehr lang und anstrengend. Fängt ja gut an graust es uns. Der anschließende Abstieg auch ein Kampf gegen steiles Geröll und schmerzende Beine. Dann verlieren wir den Weg und erreichen trotzdem ohne Probleme die weithin sichtbare knallrote Hütte des Bivac Tiziano. Benannt nach dem berühmten Maler aus Pieve di Cadore. Es ist Mittag und eine Rast bietet sich an. Sie ist auch nötig, irgendwie kommen wir alle auf dem Zahnfleisch daher.
Noch einmal geht es steil nach oben, in einem Schneckentempo wie sonst selten. Über einen Grat und um eine Ecke bis zu einer anfangs schluchtartigen Verschneidung. Hier mit viel Geröll nach unten, wobei unklar ist ob das Geröll uns mitnimmt oder wir das Geröll.
Am Biwak angekommen sind erstaunlicherweise schon vier Italiener da.
Jeder schreibt doch eigentlich vom menschenleeren Marmarole Gebirge.
Dann kommt noch einer dazu und 8 der 9 Plätze sind belegt. Das ist dann ähnlich wie in einer Sardinendose. Riecht auch so übrigens.
Jetzt wird das Wasserproblem akut. Alle haben Durst und in einem Anfall von Wahnsinn, habe ich versprochen solange abzusteigen, bis das Geräusch von Wasser in meinen Ohren klingt. Den anderen erzähle ich mutig von meinen Erkenntnissen und Fähigkeiten als Rutengeher. Bald sind wir alle unterwegs nach unten, Richtung Auronzotal. Ich mit 9 leeren Flaschen im geleerten Rucksack.
Wir kreuzen einige leere Bachläufe voll innerer Anspannung und Hoffnung. Die schwindet zusehends. Immer weiter geht’s runter, wo dann alsbald ein Klettersteig beginnt. Da gibt’s garantiert kein Wasser. Die ersten drehen schon um, als ich plötzlich einen Freudenschrei lasse.
Wasser! Wasser, und was für eins. Traumhaftes eiskaltes Wasser schießt aus dem Fels. Es schmeckt unglaublich, besser als der teuerste Rotwein aller Zeiten.
Nur brauch ich dann eine gefühlte Ewigkeit, um wieder nach oben zu kommen mit 9 Litern Wasser. Darauf hoffend das mir einer meiner vermeintlichen Freunde entgegen kommt und tragen hilft. Von wegen, die liegen erst faul in der Sonne und kurz darauf dann im Regenschauer.
Nachts bricht ein Gewitter über uns herein, der Regen schießt waagrecht ins Biwak, mir ins Gesicht. Also Lüftungs Klappe zu und das bleibt so bis morgens. Da lässt sich die Luft dann in wabbernde Blöcke schneiden, die wir morgens um vier gemeinsam mit uns aus dem Biwak werfen.
Tag 5
Weiter geht’s immer frohgemut im Frühtau zu Berge. Oder zum Klettersteig, nicht schwer aber steil. Um einige Ecken herum und wieder hinunter in einen riesigen Talkessel voller Bergsturzfelsen. Hier braue ich einen Espresso zusammen der Tote weckt und munter gehts wieder hinauf zum nächsten Klettersteig. Immer steil, immer rutschig, immer hochkonzentriert. Ein falscher Schritt wäre oft der letzte. Es gibt wenig Drahtseil und viel Absturzgelände. Härter als gedacht ist der lange Weg zum Bivac Voltolina, dass oben am Berg liegt wegen der Lawinen.
Nur leider sind wir immer noch nicht am Ziel. Der Sentiero del Doge will von uns umkreist und gewürdigt werden. Er ist nicht schwierig, aber ein sehr schmales Band und unten droht ein schwindelerregender Abgrund. Wir vermeiden tunlichst da runter zu schauen. Besser nach vorn, da wartet ein Fluß auf uns und liebliches Waldgelände mit Arven und Kiefern. Ein Traum den wir bald erreichen und sofort nackt in die Fluten springen.
Weiter geht’s empor zum Forcella Grande 2256m, wo links wie ein furchteinflößender riesiger Wächter der „Dei Sabbioni 2531m“ emporragt.
Vorher noch verabschieden wir uns von Massimo, nicht der von Lets Dance, der aus Vicenza und Pedro aus Florenz, unsere Begleiter. Wer zusammen in einer Sardinenbüchse hauste ist fortan befreundet oder auf ewig verfeindet. Weil ich sie zur rettenden Quelle führte, eher ersteres.
Am Rifugio San Marco, einer der schönsten Hütten der Welt, gibt’s erstmal ein Bier und Espresso. Beides unglaublich lecker.
Aber es warten immer noch 300 Höhenmeter zum Rifugio Galassi 2018m auf uns. Im Schneckentempo quälen wir uns zum Joch Forcella Piccola2120m hinauf, kurz dahinter liegt die schöne große Hütte. Das waren dann locker 1700 Hm und viele schwierige Kilometer.
Tag 6
Eigentlich wäre heute ein landschaftlich beeindruckender Klettersteig hoch zum Antelaogletscher an der Reihe. Dann im Auf und Ab weiter zur Antelaohütte.
Da fällt der Wettergott aber ein ganz anderes Urteil. Es regnet und gewittert und gewittert und regnet und zwar den ganzen Tag. Die Alternative ist einfach, absteigen und direkt nach Pieve di Cadore. Unterbrochen nur von einer gigantischen spektakulären Schlucht mit einem Wasserfall am Ende, der Cascada delle Pile.
Das letzte Ende vom Dolomiten Höhenweg 4 und 5 ist gleich. Daher kenne ich den Abschnitt schon von früher, dem Höhenweg Alta Via 4.
Zum Dank für die Mühen hat unser preiswertes Hotel Locanda di Doge eine mehr als ausgezeichnete Küche. Vielleicht die beste der Stadt. Und der Hauswein, fast so gut wie die Quelle am Bivac Musatti, nur das Ambiente kann nicht im Entferntesten mithalten.
Fazit: Wild, einsam, anstrengend und absolut lohnend. Die Marmarole ist schon ziemlich einzigartig, selbst für die verwöhnten Dolomiten!
Copyright Robert Mayer







































