Ein Blogbeitrag Brentagipfel

Robert Mayer

7/18/20248 min read

Juli 2024: La Via delle Normali – Der Weg der Normalwege

Dass die Brenta Dolomiten ein außergewöhnlicher Klettergarten sind, ist bei Bergsteigern hinreichend bekannt. Berühmt sind sie vor allem für ihre Himmelsleitern und die Via delle Bocchette, ihre Wege durch die Scharten. Hier tummelt sich inzwischen die halbe Welt auf der Suche nach Abenteuer und dem Kick auf extrem ausgesetzten Bändern. Und das soll vorab schon bemerkt sein: Vollkommen zurecht. Auf kleinstem Raum finden sich die vielfältigsten Eisenwege – die Via Ferrata der Brenta!

Schön für den der sie noch nicht kennt, er hat ein luftiges Abenteuer vor sich. Wer sie allerdings schon kennt, wird über kurz oder lang auch die legendären Gipfel der Brenta ins Auge fassen. Zu schön, zu steil, zu unnahbar wirken sie. Umrankt von abenteuerlichen Geschichten aus der Frühzeit des Bergsteigens locken sie nicht nur Extremkletterer an.

Wie fast immer gibt es hier leichte und schwere Routen die zum Gipfel führen. Entscheidet man sich dazu die einfachen Wege zu wählen und möglichst viele Gipfel in kurzer Zeit zu besuchen, dann stößt man schnell auf den Via delle Normali. Der Weg der Normalanstiege, den Weg den die Erstbegeher für den einfachsten und logischsten Zustieg auskundschafteten.

Das Problem dabei: Wer möchte schon gerne an alten rostigen Haken hängend verzweifelt im Felslabyrinth den einen richtigen Weg suchen, um sich dann an zweifelhaften Abseilständen ins Nirgendwo abzulassen.

All diese Probleme wurden vom Bergführerverband des Trentino 2016 erkannt und mit Hilfe vieler Bergführer bis 2020 behoben. Inclusive neuer Bohrhaken, Standplätze und moderner Abseilstände.

Um es vorweg zu nehmen: Es ist immer noch schwierig den richtigen Weg durch breite Felsflanken hindurch zu finden. Es kostet Nerven und Spürsinn, wenn die Abseilstände, wegen Steinschlaggefahr, nicht in der Falllinie liegen, sondern häufig rechts oder links davon. Manchmal auch unsichtbar um die Ecke.

Aber es ist möglich mit dem zweisprachigen Führer: ``La Via delle Normali`` in der Hand, die Topos darin genau studierend, den Spuren der Erstbesteiger zu folgen.

Eine jahrtausendealte Tradition ist dabei entscheidend für das Gelingen! Der Brauch entlang des richtigen Weges Steinmänner/frauen aufzubauen. Sie müssen weder kunstvoll noch schön sein. Aber gut sichtbar. Spätestens nach dem dritten Stein wird das Geröll zum Steinmann/frau. Den man oft freudig erregt oder gar euphorisch zur Kenntnis nimmt. Nichts ist schöner als nach langer Suche endlich die Gewissheit zu haben auf dem richtigen Weg zu sein.

Anreise: Ein guter Ausgangspunkt für die Via delle Normali ist der große Parkplatz im Valagola (ca.1300m, 8.- pro Tag). Von hier über den Sentiero Scala Santa zur 12 Apostelhütte (2489m, 1200hm) sind es ca. dreieinhalb kurzweilige Stunden durch eine sehr abwechslungsreiche Landschaft. Nachdem uns der Wirt Aldo Turri spontan ein Ständchen gesungen hat, geht’s weiter hoch über ausgedehnte Schneefelder zum Bocchetta dei due Denti (2859m). Von hier klettert man spektakulär auf einem der Brenta Himmelsleitern, dem Castiglioni Klettersteig nach unten zum Rifugio Agostini (2410m, 2,5 h, 300hm).

Die zwei riesigen Felsblöcke kurz über der Hütte sind bei einem Bergsturz 1957 heruntergedonnert und hätten die Hütte fast weggefegt. Jetzt wirken sie eher wie zwei Wächter zum Schutz der Hütte. Dazu dient auch die Kapelle Madonna del Capriolo in Rufweite im Süden gelegen.

Cima di Ambiez – eine echte Herausforderung

Die gewaltige senkrechte Ostwand des Cima d Ambiez (3103m) zaubert uns etwas Sorgenfalten auf die Stirn und sorgt für eine unruhige Nacht.

Ein gut begehbares Band führt aber früh morgens unterhalb der Ostwand zu einem Einschnitt zwischen Cima d‘ Agola (2959m) und dem Cima d‘ Ambiez (3103m).

In diesem Kamin steigt man bis in die Scharte auf. Dort erst Richtung Westen bis es aufsteilt und auf Bändern wieder zurück zum Südgrat. Ausgesetzte 17 Seillängen sind es bis zum Gipfel und es empfiehlt sich schön mitzuzählen. Das hilft bei der Orientierung. Der dritte Schwierigkeitsgrad wird nicht überschritten außer man verlässt die Route. Es gibt nicht viele Haken zur Orientierung.

Das kümmerliche Gipfelkreuz unterstreicht die Bescheidenheit italienischer Bergsteiger, oder ist den vielen Blitzeinschlägen geschuldet. Mit 12 Abseillängen, die etwas wirr verlaufen, erreichen wir die enge schneebedeckte Boca d Ambiez (2871m) über dem Vedretta d‘ Ambiez Gletscher.

Genau gegenüber von uns studieren wir schon mal den morgigen Aufstieg am Südgrat der Cima Tosa.

Um 16 Uhr genießen wir erschöpft nach 700 Höhenmetern ein Bierchen auf der Terrasse des Rifugio Agostini. Stolz das wir die vom Hüttenwirt prognostizierten 12 Stunden nicht annähernd gebraucht haben. Vermutlich haben ihn unsere vielen grauen Haare zu dieser fatalen Fehleinschätzung verleitet.

Die Ostwandkletterer aus New York sind da längst schon geduscht. Ihre strahlenden Augen und euphorischen Erzählungen von Überhängen und anderen Heldentaten zeigen sofort: Die Brenta hat neue Fans gefunden. Beim Hüttenabend sind sie definitiv nicht zu überhören und sie haben mehr Worte als jeder Italiener. Am Gipfel hingegen waren wir die einzigen und das wird auch in Zukunft so bleiben.

Cima Tosa - Genießer Tour

Als eine Panorama Genusstour mit alpinem Ambiente erweist sich der Cima Tosa. Ein kurzweiliger einfacher Kletteraufstieg im 2 Grad mit glänzenden Aussichten ins zerklüftete Brentagebirge. Das von hier andeutet was es auch noch ist, ein Abenteuerspielplatz mit seinen unzähligen Wegen, Klettersteigen und Klettermöglichkeiten.

Nach diesem Winter 23/24 könnte er fast wieder der höchste Brentagipfel sein, der Cima Tosa (3136m).

Denn die vormals kräftig abgeschmolzene Firnhaube des Gipfels türmt sich wieder mächtig auf.

Über einen halben Kilometer ist vom Cima Tosa aus nichts außer Schnee zu sehen. Dazu noch so flach, dass man es als Langlauf Sommercamp nutzen könnte. Erreichbar allerdings nur mit Seil. Wegen des angesagten Gewitters (wie fast jeden Tag) verzichten wir auf den zweiten Gipfel, die Crozzon di Brenta (3135m).

Über steile Schneefelder steigen und rutschen wir ab zur Abseilstelle über dem Brentari Klettersteig.

Rechts von uns an der Sella d‘ Tosa (2845m) stauen sich viele Klettersteigler an den sehr steilen Wegen durch den Altschnee. Wohl dem der dieses Jahr Pickel und Steigeisen dabei hat. Viele drehen mangels Ausrüstung wieder um.

Die Pedrottihütte wäre der ideale Ausgangspunkt für den schwierigsten Gipfel, den Campanile Alto (2936m). Aber die Hütte ist wegen Renovierungen geschlossen. Offiziell zumindest, denn inoffiziell ist sie doch geöffnet, weil die Bauarbeiter frecher Weise nicht angereist sind. So lässt es die Hüttenwirtin verlauten und meint dann noch, das würde in Deutschland wohl nicht passieren! Diese Illusion nehmen wir ihr sofort wieder und überlegen ob wir nicht doch bleiben. Aber gebucht ist gebucht, also weiter zur Brenteihütte.

Campanile Alto – steil und nervenaufreibend

Am nächsten Morgen steigen wir zuerst zur Alimontahütte (2580m) hinauf, mit ihrer tollen Lage auf einem glattgeschliffenen Gletschertisch. Um dann den berühmten „Via delle Bocchette Centrali“ Weg von hinten bis zur Campanile Alto zu gehen. Wie üblich gibt’s den Stau am Boca dei Armi (2749m), dem Einstieg in die Felsbänder.

Der Klettersteig ist legendär mit seinen fast waagrechten Bändern und den fürchterlichen Tiefblicken. Dazu kommt das jede Biegung neue Panoramen eröffnet wie ein Lichtspielhaus. Natürlich hat es auch hier einige Schneefelder, die das Drahtseil verdecken und einige zum Umdrehen zwingen.

Kurz erhebt er sich sonnenverwöhnt noch aus dem Nebel, das Highlight der Brenta, der Campanile Basso (2883m), der mächtige Glockenturm. Majestätisch ragt die steile Nadel (Guglia) in den Brentahimmel. Und direkt davor, nicht minder steil der Campanile Alto (2936m). Den wollten wir heute eigentlich besteigen, aber eine schlechte Nacht und viel Nebel halten uns ab. Dennoch schauen wir uns aber den Zustieg in einer engen Scharte an. Rechts am Fels hängt der Standplatz. Verzweifelt suche ich den ersten Haken auf dieser Seite aber auch weiter auf einem Band ist nichts zu finden. Dann zieht der berüchtigte Brentanebel vom Meer herein das man kaum die Hand vor Augen sieht. An diesem schönsten Punkt der Brenta, dieser Parade Aussichtsplattform sieht man plötzlich nur noch vom Meer geschwängerte Nebel Tröpfchen. Meinen Seilgefährten gegenüber habe ich ein richtig schlechtes Gewissen. Ob es nochmal besser wird?

Dann reißt wie von Geisterhand der Himmel auf, gleichzeitig sieht Blacky den ersten Haken, natürlich auf der linken Seite. Und wir beschließen spontan doch einzusteigen in diese sehr steile Route. Nur in den Dolomiten ein dreier, zuhause mindestens vier.

Trotz der Steilheit ist der Fels scharfkantig und griffig, also gut zu klettern, bis zum Standplatz am Camino Canale. Der folgende Kamin ist eng und vom Wasser ziemlich glattgeschliffen. Einigen von uns erscheint er zu schwierig, aber nach dem holprigen Start ist jetzt der Ehrgeiz erwacht. Ein Versuch kann nicht schaden. Wider Erwarten lässt er sich mit der richtigen Klemmtechnik, Rücken an der einen Seite, Füße an der anderen, zügig hochklettern. Nur die Topos sind falsch, uns fehlen plötzlich 3 Meter Seillänge. Das zweite Seil hochgezogen und schon ist das Problem gelöst. Von da an ist es fast ein Kinderspiel und wir stehen stolz am Gipfel und genießen die Aussicht. Bei schönem Wetter versteht sich. Das wird sich tags darauf gründlich ändern!

Campanile Basso Erstbesteigung

Gegenüber am berüchtigten Campanile Basso hängen auch heute einige Seilschaften. 1896 hatte Carlo Garbari mit seinem Partner Pooli nur 20 Meter unter dem Gipfel aufgeben müssen. Der Legende nach hat Garbari noch mit einer Pistole herumgefuchtelt um Pooli zum Weitersteigen anzustacheln. Jedoch hinterließen sie einen Zettel in der Wand auf dem sie dem nächsten Kletterer mehr Glück wünschten. Diesen fanden dann sichtlich erfreut die Innsbrucker Ampferer und Berger im August 1899. Denn es war noch niemand oben gewesen, das wussten sie jetzt. An diesem Tag kehrten sie um, kamen aber am nächsten schon wieder. Trotz eines Sturzes konnten sie diesmal die überhängende Stelle umgehen und erreichten so auf der Ampfererroute als erste den Gipfel des Campanile Basso.

Cima Brenta – Hoffnungsvoller Anfang mit nassem Ende

Auf dem Weg zum höchsten der Brentagipfel dem Cima Brenta (3151m) ist wieder einmal Gewitter angesagt. Also früh und schnell los. Den Einstieg in einem kleinen Kamin in der gewaltigen Südwand finden wir schnell. Dann folgen wir lange einem Band nach Osten bis zu einem vorgeschobenen West Grat. Hier beginnt die eigentliche Kletterei mit 8 Seillängen und viel Steinschlag, hinauf zu einem Felsbiwak. Im Gehgelände erreicht man das nächste Band und dann geht es über den breiten trichterförmigen Südhang zwischen den zwei Brentagipfeln hoch. Einige alte Schneefelder überquerend weiter immer rechtshaltend zum Gipfel, dem geographischen Herz der Brenta.

Die Wolken dräuen sich schon über unseren Häuptern und wir seilen eilig zu einer kleinen Scharte ab. Aus der an einer glatten Platte mühsam wieder hochgeklettert wird. Dann erst ist der Abseilstand erreicht. Über Schneefelder lassen wir uns schnell am Doppelseil hinunter zum Klettersteig Sentiero Bocchette Alta, wo uns kurz darauf der Vorhof der Hölle erwartet. Der Himmel öffnet nicht ganz unerwartet seine Schleusen. Es blitzt, es donnert, es hagelt. In Sekunden sind wir pitschnass und unter unseren Füssen entstehen Bäche aus dem Nichts. Schwellen an zu ungeheuren Wasserfällen die tosend und schäumend ins Tal stürzen. Ein Naturschauspiel sondergleichen, beeindruckend und furchtgebietend. Wir kauern uns unter einen vorspringenden Felsen, bemüht weder Boden noch Stahlseil zu berühren. Eine freie Mulde im offenen Gelände wäre ideal im Gewitter, aber wer will bei dem Orkan da draußen sein. Die Füße sind längst taub und eingeschlafen als nach über einer Stunde der Regen nachlässt. Wir nehmen die Beine in die Hand und stürmen, teils am funkensprühenden Drahtseil zum Bocca de Tuckett (2468m), dann eine Abkürzung über die Schneefelder nutzend, hinunter zur Tuckethütte (2272m).

Cima Falkner – Aussichtsberg nach Norden

Der nächste Tag verläuft gemütlich. Über den Sentiero Dallagiacoma erreicht man den Benini Steig überquert die Bocca di Vallesinella (2857m) mit schönem Blick auf den Molvenosee. Dann kommt das unangenehmste aller Schneefelder, eher ein sehr steiler Schneegrat, der hinüber an den Fuß des Cima Falkner (2999m) führt. Der ist einfach in knapp einer Stunde zu besteigen und zum ersten Mal treffen wir auch andere Bergsteiger auf der Spitze.

Von hier ist es dann fast ein Spaziergang zur Grafferhütte. Und wir haben das ungeahnte Glück den Tag der Eröffnung der Via delle Normali für die Bergführer der Gegend zu erleben. Es gibt klassische Musik und dann das berühmte Bergsteiger Drama: „Sturz ins Leere“ von Joe Simpson, als Theaterstück. Ein würdiger Abschied von der Brenta meinen wir.

Autor: Robert Mayer

„Unveröffentlichtes Werk, Copyright 2024 Robert Mayer“.

· Kontakte
· Azienda per il Turismo Madonna di Campiglio
· Via Pradalago, 4
· 38086 Madonna di Campiglio, TN
· +39 0465 447501
· info@campigliodolomiti.it
Die Via delle Normale in Zahlen:
· 6/7 Tage Dauer
· 10 Gipfel
· 8 Schutzhütten und 1 Biwak
· Kletterschwierigkeit max III+
· 5500 Höhenmeter Aufstieg
· 5500 Höhenmeter Abstieg
· 45 km Gesamtlänge (Gehen und Klettern)
· 15 km Klettern auf Normalrouten
· 60 Stunden Bergerlebnis